Schweig still mein Herz
die Bäume beten.Ich sprach zum Baum:
Erzähl mir von Gott.Und er blühte.
Heute fragen viele Menschen nicht mehr: Gibt es einen Gott?, sondern drängender: Ist Gott denn irgendwie erfahrbar?
Der Autor des obigen kleinen Gedichtes, Rabindranath Tagore, war gläubiger Hindu, Dichter und Musiker. Er war der erste asiatische Schriftsteller, der den Nobelpreis für Literatur erhielt (1913). Viele kennen ihn jedoch heute aus einem anderen Grund:
Er war vor allem Mystiker, ein von Gott zutiefst Betroffener und mit ihm Vertrauter. Seine Texte zeigen, wie er Gott erfahren hat und in sehr menschlicher Weise darüber sprechen kann.. Er kennt einen Gott, der sein Begleiter ist, an den er sich anlehnen kann, wie er so dahin wandert. Er fragt ihn bange: „Ja, ich liebe dich, Aber nicht brennend heiß. Wirst du mich nun verstoßen?“ Er kennt also auch das Leid, nicht so lieben zu können, wie man es gerne könnte. Er weiß, dass er auf Gottes bedingungslose Liebe nicht adäquat antworten kann. Er mutet sich Gott zu, so wie er ist, ohne Vertuschung.
Ihm sind die langen einsamen Strecken des Alltags nicht unbekannt,
die einen so lähmen können.
Wenn die Müdigkeit des Weges auf mir liegt
Und der Durst des drückenden Tages
Wenn die gespenstischen Stunden des Zwielichts
Schatten werfen über mein Leben,
dann schreie ich nicht nach deiner Stimme nur,
mein Freund, sondern nach deiner Berührung.
Es ist eine Angst in meinem Herzen
Um die Last seiner Reichtümer,
die dir nicht gebracht.
Tu aus deine Hand durch die Nacht,
Lass sie mich greifen und spüren und halten.
Lass mich fühlen ihren Druck
Durch die leere Spanne meiner Einsamkeit.
Macht er Gott nicht zu menschlich, den eigenen Bedürfnissen zu ähnlich?
Nein. Jesus war ein Mensch mit Gefühlen und er hat sie herausgeschrien am Ölberg und in anderen Situationen. Wie sollte ein Gott, der uns erschaffen hat,
den Schrei seiner Menschen nicht hören und beantworten? Dass seine Antwort oft so anders ist als wir erwarten – anders auch als Jesus sie erwartet hatte – ist kein Gegenbeweis. Ein Baum, der blüht, ist für viele auch keine Antwort. Für andere wieder schon.
Gott schaut uns mit einer Aufmerksamkeit an, die unser ganzes Sein umschließt. „Ich bin der, der da ist.“ Wer es mit diesem so anderen Gott aushält, der wird allmählich seine Sprache und seine Gesten erahnen. Gottes Berührung ist leise, sie überrumpelt nicht und bewegt uns zu Staunen und Anbetung, wie es Elija auf dem Berg Horeb geschah.
Wenn wir Gottes Gegenwart als spürbare Erfahrung erbitten, so ist das in Ordnung. Wir wissen, dass jede Art von Gotteserfahrung Geschenk ist. Das größere Geschenk ist es aber noch, wenn wir auch im Dunkel seiner Gegenwart gewiss sein dürfen Es gibt eine Wachsamkeit der Seele, die spürt, wie die Bäume beten und wie auch ein vom Schmerz verbrauchter Mensch noch getröstet wird. Und zwar mit einem Trost, der aus der Tiefe des eigenen Wesens aufsteigt. Von dort, wo es keine Leere mehr gibt, sondern wo einer wohnt, der das Leben selber ist.
Text: Sr. Pietra Hagenberger
Foto: Sr. Rita Rösch
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