Der Evangelist Lukas begleitet die Geburt Jesu mit vielen Geschichten und Legenden. Natürlich haben die Engel den Lobpreis gesungen, wenn ein Gott Mensch wird. Natürlich sind die Hirten, die nachts bei ihren Schafen wachen, die ersten, die die heilige Familie begrüßen. Natürlich werden die drei Weisen durch den Stern zum göttlichen Kind geführt, denn der Erlöser umspannt mit seiner Liebe den Orient wie den Okzident.
Was macht es, dass man die historische Qualität vieler dieser Erzählungen nicht beweisen kann. Sie weiten und wärmen unsere Seele, weil sie auf eine andere Art die große Wahrheit umhüllen: Unser Gott ist auf die Erde gekommen, ist ein Mensch geworden, um uns so nahe wie möglich zu sein. Er war angewiesen auf die Liebe seiner Eltern wie jedes andere kleine Menschenkind. Er wuchs in seine Sendung hinein und wurde so zum Christus
Die Faszination von Weihnachten hat nicht aufgehört, wenn sich auch viele Akzente verschoben haben. Es bleibt für viele das Fest der Familie, der Freundschaft, der Zusammengehörigkeit. Es bleibt das Bedürfnis, Einsame zu besuchen oder einzuladen in der Weihnachtszeit und ihnen ein Stück Freude zu schenken.
Weihnachtslieder, alte und neue, versuchen, viele Sichtweisen von Weihnachten einzufangen. Sie sprechen vor allem unser Herz an und stimmen uns fröhlich und zuversichtlich. Warum? Sie sprechen auch von unserer Beheimatung. Ihre Erinnerung geht weit über unser eigenes Leben hinaus und beantwortet die Frage, woher wir kommen und wohin wir gehen. Wenn das keine Perspektive ist!
Es ist eigenartig, dass auch das Schreiben von Weihnachtsgeschichten durch die Jahrhunderte hindurch nicht aufhört. Weihnachten scheint unerschöpflich zu sein -wie auch die angeheftete Geschichte zeigt.

Test: Sr. Pietra Hagenberger
Bild: Kirchenfenster St. Ulrich, St.Peter Ording, Foto Pfr. Dietmar Schindler

Eine Weihnachtsgeschichte
Es war einmal ein Hirte, der lebte auf dem Felde in der Nähe Bethlehems. Er war stark, aber er hinkte und konnte nur an Krücken gehen. Deshalb saß er meist mürrisch am Feuer und sah zu, dass es nicht ausging. Die anderen Hirten fürchteten ihn ein bisschen.
Als den Hirten in der Heiligen Nacht ein Engel erschien und die Frohe Botschaft verkündete, wandte er sich ab. Und als sie sich aufmachten um das Kind zu finden, wie es der Engel gesagt hatte, blieb er allein am Feuer zurück. Er schaute ihnen nach und sah, wie das Licht ihrer Lampen kleiner und kleiner wurde und sich in der Dunkelheit verlor.
„Lauft! Lauft!“ Was wird schon sein? Ein Spuk, ein Traum. Die Schafe rührten sich nicht, die Hunde rührten sich nicht. Er hörte nur die Stille. Er stocherte in der Glut. Er vergaß, frisches Holz aufzulegen. Und wenn es kein Spuk, kein Traum war? Wenn es den Engel wirklich gab?
Er raffte sich auf, nahm die Krücken unter die Arme und humpelte davon, den Spuren der anderen nach. Als er endlich zu dem Stall kam, dämmerte bereits der Morgen. Der Wind schlug die Türen auf und zu. Ein Duft von Gewürzen hing in der Luft. Der Lehmboden war von vielen Füßen zertreten. Er hatte den Ort gefunden. Aber wo war nun das Kind, der Heiland der Welt? Er lachte. Es gab keine Engel. Schadenfroh wollte er umkehren. Da entdeckte er die kleine Kuhle, wo das Kind gelegen hatte, sah das Nestchen im Stroh. Da wusste er nicht, wie ihm geschah. Er kauerte vor der leeren Krippe nieder. Was machte es aus, dass das Kind ihm nicht zulächelte, dass er den Gesang der Engel nicht hörte und Maria nicht bewundern konnte. Was machte es aus, dass er nun nicht mit den Anderen in Bethlehem durch die Straßen zog und von dem Wunder erzählte.
Was ihm widerfahren war, konnte er nicht mit Worten beschreiben. Staunend ging er davon. Er wollte das Feuer wieder anfachen, bevor die anderen Hirten zurück kamen. Als er eine Weile gegangen war, merkte er, dass er seine Krücken bei der Krippe vergessen hatte. Er wollte umkehren. Warum denn? Zögernd ging er weiter, mit immer festeren Schritten.
Max Bollinger