Dankbarkeit
ist
die Wachsamkeit
der Seele
gegen die Kräfte
der Zerstörung
Haben Sie schon einmal einen Menschen getroffen, dessen Schicksal sie erschüttert hat, weil es so unheimlich schwer und unvorstellbar grausam war?
Und dann ist dieser Mensch eben nicht verbittert und nicht versteinert. Er hat es geschafft, sich in langen Jahren mit seinem Schicksal zu versöhnen, es anzunehmen und darüber hinaus auch noch dankbar zu sein für vieles, was ihm im Zusammenhang mit all dem Schweren geschenkt wurde: das Bei-ihm-bleiben eines anderen Menschen, das Verständnis eines Vorgesetzten, sogar die Hilfe einer Behörde, die natürlich durch einen Menschen geschah, der/die ihn wirklich wahrgenommen und ernst genommen hat.
Wenn ich den Baum auf dem Bild anschaue, dann sehe ich, dass er von Anfang an keine Chance hatte. Seine „Geburt“ geschah an einem der ungünstigsten Flecken Erde, in einem Abgrund, zu eng an eine Steilwand geschmiegt, zu weit weg von der Sonne … Neben ihm verkrüppeltes Gesträuch.
Und doch hat er seinen Schaft gestreckt, wo ein anderer vielleicht schon lange aufgegeben hätte. Er hat sich an der Sonne und nicht an seiner mageren Umgebung ausgerichtet. Seine Baum-Seele wurde magisch angezogen von einer Verheißung von Freiheit und Leben, die er als kleiner Baum noch nicht wirklich sehen konnte, sondern eher ahnte.
Ja, es gab Zeiten der Dürre und der Resignation. Es gab Zeiten, wo es unmöglich schien, dass er den Rand des Berges je erreichen würde. Er verzweifelte fast an seiner Sehnsucht und wollte aufgeben. Aber da war diese Sonne, die ihn lockte und da war das Wasser aus der Tiefe, das ihn belebte. Die waren stärker als alle Kräfte der Zerstörung, die an ihm nagten. Er merkte, wie die Dankbarkeit in ihm wuchs und wie er plötzlich zum Hüter seiner Dankbarkeit wurde. Er hatte nichts zu geben – nur diese Dankbarkeit.
Als er über den Rand des Berges hinauswuchs und sich seine Zweige und Blätter frei entfalten konnten, wusste er, dass er für den Lobpreis geboren war.
Lobpreis ist ein Ausdruck der Dankbarkeit und geht an das Lebendige Wasser, das uns durchströmt und an den lebendigen Gott, der uns durchwärmt mit seiner Liebe. Jesus hat uns von beiden erzählt.
In ihm schaffen wir es, wachsam zu bleiben, damit die Kräfte der Zerstörung in uns – der Mangel an Selbstvertrauen und die Schwäche unseres Gottvertrauens – keine Chance haben.
Text: Sr. M. Pietra Hagenberger