Irgendwie mochte ich den Thomas aus den Ostererzählungen schon immer. Er schien mir ein redlicher Mann zu sein, der sich seine eigenen Gedanken machte und der sich überzeugen, aber nicht überreden ließ. Er hatte, wie die anderen Jünger, gerade erst das Scheitern aller Hoffnungen erlebt im grausamen Tod Jesu. Und nun sollte er die Nachricht verkraften, dass dieser Jesus den Anderen erschienen war – als Lebender. Er wehrt sich gegen eine Überrumpelung durch die Anderen. Er hatte sie ja in der Gemeinschaft erlebt, wie sie stritten und um ihre eigenen Interessen kämpften, und nun soll er ihnen diese Ungeheuerlichkeit abnehmen?
Jesus weiß, dass Thomas nicht einfach trotzig ein Recht einfordert. Als er ihm zum ersten Mal als Auferstandener begegnet, zeigt er ihm seine Wundmale. Er geht auf seine Wahrheitssuche ein und zeigt einem tief bewegten Thomas, dass der Glaube nicht mit Sehen, sondern eher mit einen Art von Einsehen zu tun hat, was die Begegnung mit ihm, Jesus, voraussetzt.

Die Redlichkeit eines Thomas, der nachfragt, ist nicht das Problem. Er glaubt dem Wunder, als es ihm begegnet. Er betet den Auferstandenen an. Aus seinem Mund kann er akzeptieren, dass Glauben eine Dimension hat, die er vorher nicht kannte: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“.
Jesus hat ihm ein eine ganz persönliche Begegnung geschenkt, die seinen Zweifel in Glauben umwandelte.

Wie geht es uns mit unseren Zweifeln?
Es scheint, als ob es in unserer Zeit mehr offene Fragen gibt als Antworten, mehr Zweifel als Gewissheit. Das gilt sowohl für unsere Gesellschaft als auch für die Kirche. Beide befinden sich offensichtlich in einem Wandel. Und wir stehen mitten drin. Wohin geht die Reise? Können wir noch etwas mitbestimmen? Oder werden wir einfach vermarktet?

Gesellschaft und Kirche sind Institutionen in Raum und Zeit, also auch von Menschen gestaltet. Der Glaube hat eine andere Dimension. Eine Irritation an der Kirche kann ihn zwar beschädigen, muss ihn aber nicht auslöschen.

Echter Glaube hat zu tun mit einer immer wieder neuen Begegnung mit dem Herrn in seinem Wort oder seiner neu verstandenen Sendung. Er hat uns ein Vermächtnis hinterlassen, das mich immer tiefer berühren kann. Ich kann nicht ein für allemal glauben. Ich brauche immer wieder die Bestärkung, dass Er lebt. Und dazu brauche ich auch – was Thomas noch lernen musste – die unvollkommene Gemeinschaft der anderen Glaubenden, ihr Zeugnis, ihren Umgang mit dem Zweifel.
Gibt es einen Glauben ohne Zweifel? Ich glaube es nicht. Ich bin überzeugt, dass ein Glaube ohne Zweifel seinen Geschmack verliert und schal wird. Die innere Lebendigkeit des Glaubens kommt aus der persönlichen Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und Erfahrungen

Wieso glauben und lehren manche auch heute noch, dass der Zweifel „Sünde“ sei, eine Absonderung von Gott also? Er ist doch genau das Gegenteil: ein Einfallstor für das Gewahrwerden von Gottes Anwesenheit in dieser Welt. Es wird uns klar, dass wir Gott mit unseren menschlichen Maßstäben nicht einfangen können. Der Zweifel lässt uns anhalten, tief durchatmen und schließlich erkennen, dass wir Gott brauchen und er sich finden lässt.

Bild: Misereor Hungertuch 2017  „Ich bin, weil du bist“ von Chidi Kwubiri
Text: Sr. Pietra Hagenberger