Anselm Grün bezeichnet den Advent als die Zeit der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.
Was ist Sehnsucht? Sie ist das Verlangen nach dem, was uns zutiefst erfüllen und befrieden kann. Sehnsucht hat immer mit Liebe zu tun, mit dem Herzen, das durch die Sehnsucht weit wird. Für Augustinus ist die Sehnsucht eine Grundbefindlichkeit des Menschen. Er sagt, der Mensch sei in seinem Wesen einer, der sich nach Gott sehnt. Nach einem Gott, der uns bedingungslos bejaht und liebt.
Es ist nicht immer so klar zu erkennen, aber in jeder irdischen Sehnsucht klingt eine letztgültige Sehnsucht mit. Wenn ich mich leidenschaftlich nach Erfolg, nach Besitz, Reichtum, nach Anerkennung, nach der Liebe eines Menschen sehne, dann geht die Sehnsucht immer über das Erreichte hinaus.
Es gibt keine Anerkennung, die meine Sehnsucht völlig zufriedenstellen kann. Es gibt keinen Besitz, der mir völlige Ruhe verschaffen kann. Da ist immer ein Rest, der leer bleibt, der sich weiter ausstreckt nach Erfüllung. Augustinus hat es klassisch formuliert: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir, mein Gott.“
Er hat es so erlebt und diese Einsicht hat sein Leben total verändert.
Schauen wir uns an, was passieren kann, wenn man seine tiefe Sehnsucht verdrängt. Wer das tut, dem wandelt sich die Sehnsucht in Süchte um. Er wird süchtig in irgendeiner Form: ich-süchtig, erfolgssüchtig, streitsüchtig usw.
Sucht ist immer verdrängte Sehnsucht.
Weil ein Mensch die Qualität der Sehnsucht nicht mehr erfährt oder aushält, sucht er das auszugleichen durch Quantität. Immer mehr von allem – und das Herz bleibt leer und einsam.
Advent wäre die Zeit, unsere Süchte wieder in Sehnsucht umzuwandeln.
Wir horchen in uns hinein und spüren die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit. Wir warten auf den Ort – innerlich aber auch in der äußeren Wirklichkeit – , wo wir sein dürfen, wer wir sind: Suchende, Wartende, von Sehnsucht Getriebene.
Wenn der Advent eine heilige Zeit werden soll, dann müssen wir uns bewusst Zeit aussparen, um still zu werden, die Worte der hl. Schrift in unseren Herzen aufblühen zu lassen und uns überlegen, welches Geschenk zu Weihnachten einer/einem Anderen wirklich Freude bereitet. Oder gar kein Geschenk, weil bei uns jeder schon hat, was sie/er braucht. Was wäre es, wenn wir einen Fremden überraschen könnten? Vielleicht auch einen uns fremd Gewordenen?
Das folgende Gedicht eines unbekannten Autors drückt das Adventsgefühl eines Zeitgenossen so aus:
„Advent heißt warten
Nein die Wahrheit ist
Dass der Advent nur laut und schrill ist
Ich glaube nicht
Dass ich in diesen Wochen zur Ruhe kommen kann
Dass ich den Weg nach innen finde
Dass ich mich ausrichten kann
Es ist doch so
dass die Zeit rast
Ich weigere mich zu glauben
dass etwas Größeres in meine Welt hinein scheint
dass ich mit anderen Augen sehen kann
Es ist doch ganz klar
Dass Gott fehlt
Ich kann unmöglich glauben
Nichts wird sich verändern
Es wäre gelogen, wenn ich sage
Gott kommt auf die Erde!“
Kann man eine Adventsbetrachtung so abschließen? Sicher nicht. Aber das Gedicht birgt eine Überraschung: Lesen Sie es einfach von unten nach oben.
Sr. Pietra Hagenberger
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