Ausgestreckt
Zwischen
Himmel
Und Erde

Ein Bild
und
zwei Interpretationen

Als ich das Bild vor etwa 10 Jahren von einer Bekannten geschenkt bekam –ohne Kommentar – war mir klar, dass es etwas zu tun haben musste mit der Spannung, in der wir alle stehen: der Spannung zwischen Himmel und Erde, zwischen Ideal und Wirklichkeit oder zwischen Sehnsucht und Zurückgeworfen werden auf das Mögliche. Es schien mir die menschliche Situation gut zu umschreiben. Die Erde mit ihren hellen und dunklen Farben, über die die Frau dennoch leichtfüßig tanzen kann, weil über ihr ein lichtvoller Himmel seine Verheißung anbietet. Er wirft sein Licht auch auf die Erde, so dass die Frau in ihren menschlichen Erfahrungen ab und zu einen Vorgeschmack der himmlischen Qualität bekommt. Soweit, so gut. Ich könnte diese Frau sein.
Jetzt, nach 10 Jahren – auch nach 10 Jahren Kirchengeschichte, die ich erlebt habe – spricht das Bild anders zu mir. Ich sehe nicht mehr, dass die Frau tanzt, sondern eher, dass sie auf der Erde nicht mehr sicher steht. Sie streckt sich immer noch nach dem Himmel aus, aber ich sehe, dass er gefärbt ist vom Herzblut der Menschen, die an ihrer Kirche leiden. Es sind zu viele und nicht jeder/jede kann und will einfach die Kirchentüre ein für allemal hinter sich schließen. Viele Menschen haben zu viel investiert in ihre Kirche vor Ort: Zeit und persönlichen Einsatz. Und sie haben viel bekommen: Sie haben Freunde gefunden und Gemeinschaft, einen Ort für Lobpreis und Lieder und Antworten auf viele Fragen des Alltags. Vor allem wird ihnen Gottes Wort näher gebracht im sonntäglichen Gottesdienst.
Umso schmerzlicher ist das Aufdecken und Vertuschen des Missbrauchs in der Kirche und die tiefe Enttäuschung und Ernüchterung, die bleiben. Und nicht nur das. Die Enttäuschung geht weiter, weil die Kirche den Dialog unterbindet mit denen, die im „synodalen Weg“ eine Möglichkeit sehen, das Feuer unter der Asche frei zu legen. Nur im Dialog kann das geschehen, nicht in der Diskussion oder der Debatte. Dafür müssten wir uns aber unsere Angst eingestehen davor, dass wahrscheinlich nicht alles so bleibt, wie es jetzt ist. Veränderung ist eine Definition für Bewegung, Leben. Wie wissen: Unser Gott ist ein Gott des Lebens.
“Was bleiben will, muss sich ändern“, sagt ein Sprichwort. Dass das auch für die Kirche gilt, spüren viele Menschen, darunter neben den Laien auch Priester und Bischöfe. Was mich an Berichten über die vergangene Bischofskonferenz am meisten erschüttert hat, war der Kommentar eines Historikers. Er schrieb, dass manche Bischöfe so gesprochen hätten, als ob sie im 12, oder 13. Jahrhundert lebten. Ist die Kluft zwischen kirchlicher Lehre und zeitgemäßer Verkündigung wirklich so groß geworden? Ist es zu viel verlangt, wenn Menschen heute erwarten, dass die Kirche Ballast abwirft, der sich im Laufe der Jahrhunderte angesammelt hat? Viele Menschen sehnen sich nach dem Wesentlichen, nach der „Frohen Botschaft“. Und es gibt sie noch: geistliche Menschen, die sie verkünden, auch heute noch.
Vielleicht sollten wir mehr auf die schauen und hören, die in der Kirche bleiben, denn sie haben mindestens ebenso gute Gründe dafür wie die, die weggehen. Glaube braucht Gemeinschaft und die Kirche bietet sie an. Es liegt auch an uns, wie anziehend und überzeugend diese Gemeinschaft ist.
Mehr Menschen als wir meinen, wissen einfach, dass es stimmt: „In Ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ (Apg 17,27) Dieses Getragensein von einer allumfassenden Liebe ist kein wissenschaftlicher Beweis aber eine innere Überzeugung, aus der sich das Leben ernähren kann.
Text: Sr. Pietra Hagenberger