Ich erinnere mich, wie ich als junge Ordensfrau einmal einer älteren Mitschwester begeistert von einem eben veröffentlichten theologischen Buch erzählte und sie fragte, ob sie es auch gern lesen würde. Sie antwortete, nicht unfreundlich, aber sehr bestimmt: „Nein danke. Ich habe meinen Glauben.“ Ich war sehr betroffen von der Antwort, weil ich nie gedacht hätte, dass man den Glauben einfach „haben“ kann. Ich dachte, er entwickelt sich mit mir mit, bis er zu „meinem Glauben“ geworden ist und immer weiter wird.
Ein zweites Mal stieß ich im Religionsunterricht einer 11. Klasse auf eine ähnliche Fragestellung. Ich hatte die Mädchen gebeten, mir schriftlich und anonym ein Feedback zu geben über meinen Unterricht und meine Methoden. Was sprach sie an, was nicht. Eine Antwort jedoch nahm mir fast den Atem. Eine Schülerin hatte quer über das Blatt geschrieben: „Sie haben mir den Glauben zerstört.“ Gott-sei-Dank hatte sie in einer Ecke winzig klein ihren Namen geschrieben, so dass ich vermutete, dass sie noch mit mir darüber sprechen wollte. Im Gespräch war sie zuerst ziemlich verschnupft und ich musste ihr Recht geben. Einem anderen den Glauben zerstören, ist wohl das Letzte, was eine Religionslehrerin tun sollte. Irgendwann im Laufe des Gesprächs kam mir ein Verdacht. Ich fragte sie; „Wie alt ist denn dein Glaube, den ich dir zerstört habe?“ Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort: „10 Jahre alt – und meine Familie glaubt genauso.“ Es war also ihr Kinderglaube, um den sie trauerte. Wir hatten in der 11. Klasse die Bibel anders interpretiert als man das für Kinder tut. Sie hatte gespürt, dass sie sich auseinandersetzen musste, dass Glaube und Denken keine Gegensätze sind, dass sie immer wieder entscheiden muss, wie sie mit neuen Impulsen umgeht. Sie gab zu, dass das sehr anstrengend ist. Im Religionsunterricht wollte sie wenigstens ihre Ruhe haben und bestätigt werden. Sie hatte schon genug Stress mit anderen Fächern wie Latein und Mathematik.
Für uns beide war das Gespräch wichtig, weil wir beide besser verstanden, dass unser Glaube nur sinnvoll für uns ist, wenn unser jetziges Leben darin vorkommt. Wie im Leben, so gibt es auch im Glauben keinen Stillstand. Wir wachsen oder wir verkümmern. „Man verliert nicht den Glauben. Er hört nur auf, dem Leben Form zu geben. Das ist alles.“ (Georges Bernanos)
Und wo ist Gott in all dem?
Dag Hammerskjöld hat eine gute Antwort; „Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir aufhören, an einen persönlichen Gott zu glauben. Aber wir sterben, wenn unser Leben nicht mehr von jenem beständigen, täglich neuem Licht eines Wunders erleuchtet wird, dessen Herkunft jenseits aller Vernunft liegt.“
Gott nimmt also sein Versprechen, dass er da sein wird, nicht zurück. Da zu sein ist sein Name, sein Wesen. Es liegt an uns, ob wir damit rechnen und sein So-sein immer mehr als unsere Lebensqualität begreifen. Wir wissen so wenig und ahnen so viel. In unserem Vertrauen auf Gottes Zusage liegt die einzige Antwort, die wir geben können. Und dann wird uns immer wieder neue Hoffnung geschenkt und die Kraft, jeden neuen Tag als Chance zu sehen. Dann ist mein Glaube so alt wie ich.
Sr. Pietra Hagenberger
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