Dieser kleine gewebte Wandteppich stammt aus Guatemala und auch der Name für Gott, „Herz des Himmels und Herz der Erde“ wurde dort geboren. Es war in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, kurz nach den Gräueltaten der Militärregierung, als man dort vielerorts Massengräber auffand und die Menschen verzweifelt versuchten, in Selbsthilfegruppen in den Basisgemeinden mit all dem Erlebten fertig zu werden. Unsere amerikanischen Missionarinnen dort waren die ersten, die mit den traumatisierten Menschen zu arbeiten begannen. „Ihr braucht gar nichts zu tun,“ hatte der Bischof zu ihnen gesagt, „bleibt nur bei meinen Leuten und lasst sie reden“.
Für jemanden, der aus einer „sicheren“ Umgebung in ein solches Land kommt, ist es nicht nur ein Kulturschock, sondern wirft auch eine Unmenge von Fragen auf. Wie kann man noch an einen „lieben Gott“ glauben, wenn man das ungeheure Leid spürt, das so viele Menschen weitertragen müssen in ihrem Leben? Mütter, deren 15-jährige Söhne nach der Schule an einer Brücke in Lastwagen gezerrt wurden, und in ein Trainingslager des Militärs kamen – weit weg von ihrem Zuhause. Sie würden sie nie mehr wiedersehen. Ehemänner und Väter, die von der Arbeit nicht mehr heim kamen, nie mehr…
Wo war Gott in diesen grausamen Jahren? Wo ist Gott in diesen und vielen ähnlichen Erfahrungen, die Menschen in vielen Teilen der Welt machen müssen?
Nur Betroffene können eine Antwort geben. Menschen dort haben Gott trotzdem erfahren, nicht als den „lieben“ Gott, aber als „Herz des Himmels und Herz der Erde“, wie etwa in Guatemala. Gott lässt sich nicht ausschalten. Weil er das Herz aller Erfahrungen ist, zieht er Menschen in unsagbarer Weise an sich.
Wie kann die menschliche Psyche so einen Spagat machen? Schmerzen solchen Ausmaßes scheinen entweder in die totale Verzweiflung zu führen oder in eine Tiefe des menschlichen Wesens, wo Jahwe, der „Ich bin da“ zur unmittelbaren Erfahrung wird. Da wirken Gottesbeweise lächerlich, weil Menschen ein Wissen in sich entdecken, das alles Glauben-können übersteigt. Sie entdecken das Leben mitten im Tod. Sie werden gewahr, dass ein göttliches Herz für sie schlägt. Das ist ein Geheimnis, das Nicht-Betroffene nur mit großer Ehrfurcht wahrnehmen dürfen. Gott tröstet in einer Tiefe des menschlichen Herzens, die nur in einem ungeheuren Schmerz zugänglich wird. Andere Menschen können den Prozess begleiten, aber nie vollständig verstehen. Es bleibt die Verbeugung vor der göttlichen Weisheit und Barmherzigkeit.
Antje Sabine Naegeli schreibt in ihrem Gedicht „Auferstehung“, wie Menschliches und Göttliches miteinander verschmelzen:
Verlasse dich nicht!
Begrabe den Schmerz,
der doch der deine ist,
nicht unter dem Felsgestein
der Vergessenheit,
denn unbeweint
kann er nicht Hoffnung gebären,
dich nicht
zu verborgener Quelle führen,
die dir Leben verheißt.
Text: Sr. Pietra Hagenberger
Foto: Sr. Christine Heider
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