Die leere Krippe

Bleibt sie leer –
oder
wartet sie auf eine stille Gottesgeburt
in unseren Herzen?

In vielen Kirchen und auch Wohnzimmern wird in den letzten Tagen des Advent schon die Krippe hergerichtet als Symbol des Wartens und Erwartens, des Hoffens und der Umkehr.
Oft denkt man daran, dass wir uns in dieser Zeit mehr Gott zuwenden und uns erinnern sollten an wesentliche Inhalte unseres Glaubens. Die Schriftlesungen des Advent helfen uns dabei. Und doch können wir uns Gott nicht zuwenden, wenn er es nicht zuerst tut. Er kommt auf uns zu, er zeigt uns in Jesus sein menschliches Angesicht und wird in ihm ein Menschenleben durchstehen mit allen Höhen und Tiefen. Emmanuel, ein Gott mitten unter uns, wird er nun heißen.
Die Krippe in ihrer Schlichtheit ist der Anfang. So deuten es die ersten Nachfolger Jesu, wie sich auch von Anfang an immer mehr Erzählungen, Geschichten und Legenden um das Weihnachtsfest ranken. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Schauen wir in unsere Buchläden hinein: Die Literatur über Weihnachten ist unerschöpflich und jedes Jahr kommt Neues dazu, Werteorientiertes und Kitschiges.
Die Zeit um Weihnachten ist auch die Zeit, in der ein intuitives Wissen den Menschen herausholen will aus Kälte und Einsamkeit. Nicht umsonst suchen wir die Wärme der Familie und die Nähe von Freunden. Menschen wollen zusammen sein, feiern, sich beschenken, selbst wenn das „Christliche“ an der Sache oft nicht mehr spürbar ist. Wer christliche Rituale noch vollziehen kann, sollte es tun, für die Anderen mit, ohne sie zu vereinnahmen.
Gott hat seine Zeit mit jedem einzelnen Menschen, wie die folgende Geschichte aufzeigt. Oft braucht es neben dem Zweifeln und dem Hin-und Hergerissensein zwischen Realität und Glaube einfach eine Portion Neugierde über den Alltag hinaus, um in etwas Alltäglichem das Heilbringende zu entdecken und davon tief betroffen zu sein. Vielleicht ist da auch eine tief verborgene Sehnsucht nach Heilung und Ganzsein, die einem Perspektiven eröffnen, die sonst verschlossen blieben.

Der Weg zur Krippe
Es war einmal ein Hirte, der lebte auf dem Felde in der Nähe Bethlehems. Er war groß und stark, aber er hinkte und konnte nur an Krücken gehen. Darum saß er meistens mürrisch am Feuer und sah zu, dass es nicht ausging. Die anderen Hirten fürchteten ihn.
Als den Hirten in der heiligen Nacht ein Engel erschien und die Frohe Botschaft verkündete, wandte er sich ab. Und als sie sich aufmachten, um das Kind zu finden, so wie es ihnen der Engel gesagt hatte, blieb er allein am Feuer zurück. Er schaute ihnen nach, sah, wie das Licht ihrer Lampen kleiner und kleiner wurde und sich in der Dunkelheit verlor.
„Lauft! Lauft!“ Was wird es schon sein? Ein Spuk, ein Traum. Die Schafe rührten sich nicht. Die Hunde rührten sich nicht. Er hörte nur die Stille. Er stocherte mit der Krücke in der Glut. Er vergaß, frisches Holz aufzulegen. Und wenn es kein Spuk, kein Traum wäre? Wenn es den Engel gab?
Er raffte sich auf, nahm die Krücken unter die Arme und humpelte davon, den Spuren der anderen nach. Als er endlich zu dem Stall kam, dämmerte bereits der Morgen. Der Wind schlug die Türen auf und zu. Ein Duft von Gewürzen hing in der Luft. Der Lehmboden war von vielen Füßen zertreten. Er hatte den Ort gefunden.
Doch wo war nun das Kind, der Heiland der Welt? Er lachte. Es gab keine Engel. Schadenfroh wollte er umkehren. Da entdeckte er die kleine Kuhle, wo das Kind gelegen hatte, sah das Nestchen im Stroh. Da wusste er nicht, wie ihm geschah. Er kauerte vor der leeren Krippe nieder. Was machte es aus, dass das Kind ihm nicht zulächelte, dass er den Gesang der Engel nicht hörte und Maria nicht bewunderte. Was machte es aus, dass er nun nicht mit den anderen in Bethlehem durch die Gassen zog und von dem Wunder erzählte.
Was ihm widerfahren war, konnte er nicht mit Worten beschreiben. Staunend ging er davon. Er wollte das Feuer wieder anfachen, bevor die anderen Hirten zurückkamen. Doch als er eine Weile gegangen war, merkte er, dass er seine Krücken bei der Krippe vergessen hatte. Er wollte umkehren. Warum denn? Zögernd ging er weiter, dann mit immer festeren Schritte.
Max Bolliger

Wenn ein fast verbitterter Mensch anders von der Krippe heimkehrt als er gekommen ist, muss etwas in ihm passiert sein. Er hat etwas „gesehen“, was man üblicherweise gar nicht beachtet. Etwas hat sein Inneres berührt, das ihn aus seiner Dumpfheit aufgeweckt hat. Er wurde lebendig und zuversichtlich. Er verstand das Geheimnis von Weihnachten, das tröstet und heilt.
Was geschieht mit mir nach meinem Besuch an der Krippe?
Sr. Pietra Hagenberger

Ein frohes, gesegnetes Weihnachten 2020 – trotz allem
und ein besseres Jahr 2021 !